Dominik Criado

February 11, 2023

Ein Mobile OS aus Europa?

Ein neues Betriebssystem zu etablieren ist so gut wie unmöglich. Nokia, Microsoft, die Mozilla Foundation, Blackberry (RIM) und  Samsung haben sich daran versucht und sind gescheitert. Jetzt will das schweizerische Startup Apostrophy mit AphyOS das vermeintlich Unmögliche möglich machen. Dazu fährt man auch noch eine bisher ungewöhnliche Strategie zur Monetarisierung. Alles wirft viele Fragen auf – und dennoch würde ich mir den Erfolg aus vielen Gründen wünschen.

Herausforderungen

Bevor ich das Projekt genauer vorstelle, zuerst die Herausforderungen. Was ist so schwierig daran, in 2023 ein neues Mobile OS zu etablieren?

  1. Die Hardware: Man kann Hardware-Komponenten von der Stange aus China bestellen. Das wird mittelmäßige Hardware sein, die aber etabliert und günstig produzierbar ist. Hardware ist also lösbar, auch wenn sie nicht als Differenzierungsmerkmal taugt. Wer braucht noch mehr durchschnittliche Smartphones?
  2. Die Software: Das ist der Knackpunkt. Einerseits ist das Kernsystem, das die Oberfläche und die Kommunikation mit der Hardware managed, keine Rocket Science. Man erinnere sich an Palm OS oder auch Blackberry 10, die Systeme hatten richtig gute UI, wahrscheinlich besser als Android und iOS zur damaligen Zeit. Andererseits ist das nur die halbe Miete. Die Herausforderung liegt darin, ein Ökosystem an Apps beziehungsweise Dritt-Entwicklern aufzubauen. Zwei Ökosysteme (Android und iOS) sitzen fest im Sattel, warum sollten Entwickler auch noch für ein weiteres System aufwändige Sonderwürste fahren? Das klassische Henne-Ei-Problem. Die Nutzerzahlen müssen zuerst stimmen, bevor die Entwickler kommen. Aber wer möchte ein OS nutzen, das weder die Banking App noch die App für den ÖPNV bieten kann?
  3. Vertrieb und Netzbetreiber: Laut eigenen Aussagen, hat Apostrophy bereits Vereinbarungen mit europäischen Netzbetreibern treffen können. Das wäre ein großer Schritt, um auf dem Radar von Kunden zu laden und eine vertriebliche Grundlage zu haben. Nischige Anbieter, wie zum Beispiel auch das Fairphone, sind auf ein bestehendes Vertriebsnetz angewiesen, um Aufmerksamkeit außerhalb der eigenen Community zu erlangen.

Punkt 1 und 3 sind also durchaus lösbar. Blackberry und Nokia/Microsoft hatten damit keine Schwierigkeiten. Auch eine gute Software auf die Beine zu stellen, ist mit den notwendigen Ressourcen machbar. Problematisch ist es einen konkurrenzfähigen Produktkatalog anbieten zu können.

Die Hintergründe und Spezifikationen

Wie die Antworten von Apostrophy auf diese Herausforderungen aussehen, lässt sich aktuell nur grob sagen. Die FAQs auf der Herstellerseite geben ein paar Antworten. Außerdem ist kürzlich ein Artikel auf Bloomberg mit einigen Infos erschienen. Die erste Erwähnung hat allerdings Kevin Michaluk (ein Blackberry-Veteran) auf Crackberry veröffentlicht.

Apostrophy ist eine Neugründung in Lausanne/Schweiz. Aktuell konnte die AG 50 Entwickler gewinnen. Ein Teil davon wohl abgeworben von KaiOS, einem OS für Feature-Phones. Treibende Kraft ist Peter Neby, der kein unbeschriebenes Blatt im Mobile-Business ist. 2008 hat Neby Punkt gegründet. Eine Art Tech-Boutique, die auf dem Detox-Minimalismus-Trend reitet. Im Angebot hat man das MP02, ein Dumbphone, das von Jasper Morrison designed wurde. Großartiges Produktdesign, gepaart mit cleverem Marketing und hohen Preisen. Ich selbst bin seit Jahren Kunde und Nutzer.

Die Geschäftsführung von Apostrophy wird allerdings Steve Cistulli übernehmen. Auch ein Mobile-Veteran, der bisher beim chinesischen Hardware-Hersteller TCL als Manager für Nordamerika gearbeitet hat. Interessant ist auch, dass TCL vor einigen Jahren Blackberry übernommen hat und Punkt bereits eine Verbindung zu Blackberry hat(te). Bei der ersten Generation des MP02 war sicherheitsrelevante Software von Blackberry im Rahmen einer Partnerschaft integriert. Ergibt dann auch Sinn, dass Michaluk, als jemand, der bestens in Blackberry-Kreisen vernetzt war, als erster Informationen veröffentlichen durfte.

Zur Finanzierung von Apostrophy (das OS selbst nennt sich AphyOS) gibt es unterschiedliche Angaben. Es ist von 10 Mio USD die Rede, allerdings wird nicht ganz klar, ob diese angestrebt oder gesichert sind. Jedenfalls ist dieses Jahr mit einem Launch zu rechnen, der auch von mehreren Netzbetreibern in der EU unterstützt wird.

Interessant ist das Geschäftsmodell. AphyOS wird als Abonnement erhältlich sein und grundsätzliche Services wie E-Mail, Datenspeicher, VPN und Synchronisierung von Kontakten/Kalendern beinhalten. Ein klassisches SaaS-Modell in einem ungewöhnlichen Geschäftsfeld. Ein Mobile OS für das man monatlich oder jährlich bezahlt? Apostrophy argumentiert, dass wir bei Android auch bezahlen, allerdings mit unseren Daten. Eine weitere Einnahmequelle wird die Hardware sein, die auch dieses Jahr auf den Markt kommen wird. Vermutlich unter dem Namen MC03.

Das Abo-Modell könnte ein großes Problem in der Android-Welt lösen: Software-Updates über einen längeren Zeitraum. Das klassische Vertriebsmodell bei Android-Phones gibt wenig Ansporn für die Hersteller, das Gerät lange mit Updates zu versorgen. Die Hersteller verdienen mit dem Verkauf der Hardware, danach verdient nur noch Google mit seinem Ökosystem aus Werbung und App-Verkäufen. Das Ergebnis sind funktionierende Geräte, die keine Sicherheitsupdates mehr erhalten und damit zum Elektroschrott werden.

Der größte Selling-Point von Apostrophy ist allerdings das Thema Datenschutz. Auf der Website wird erwähnt, dass AphyOS auf GrapheneOS basiert. Dieses wiederum basiert auf dem Android Open Source Project (AOSP). AOSP ist im Prinzip Android ohne GMS (Google Mobile Services), also ohne die ganzen Google-Dienste und ohne den Google Play Store. Ohne GMS bezieht Google keine Nutzerdaten vom Gerät. Allerdings kann der Nutzer ohne Store eben auch nicht auf das Ökosystem an Apps zurückgreifen. GrapheneOS hat einen cleveren Kompromiss zwischen Datenschutz und Benutzerfreundlichkeit gefunden, denn Apps lassen sich, wenn der Nutzer einwilligt, aus dem Play Store in einer Sandbox-Umgebung installieren. Somit können Apps nicht untereinander Daten austauschen, sie können nur auf das Nutzerprofil zugreifen – und auch das nur mit Berechtigung. Sie werden quasi in einem strikt abgeriegeltem Käfig gehalten.

GrapheneOS hat einen hervorragenden Ruf und einige darin enthaltenen Sicherheitsfunktionen wurden mittlerweile sogar in AOSP und damit letztlich in Android integriert. Für Apostrophy bedeutet das, fast vollständige Kompatibilität mit dem Android-App-Katalog und gleichzeitig können Nutzer sicherstellen, dass keine Daten an Google gehen. Smart.

Mein Eindruck

Ich bezweifle, dass Apostrophy mit besonderer Hardware punkten wird. Allerdings wird GrapheneOS bisher nur für Googles eigene Hardware (dem Pixel Phone) angeboten. Welch Ironie. Ein Fremd-OS zu installieren, ist sicherlich auch eher für sehr fortgeschrittene, tech-affine Anwender eine Option. Die meisten würden sich damit kaum beschäftigen wollen. Wenn man beim Kauf allerdings die Wahl bekommt, ein datenschutzfreundlicheres Gerät zu wählen, das ansonsten kaum Einschränkungen mit sich bringt? Durchaus eine interessante Nische. Es sieht also so aus, als könnten die Apostrophys Geräten ein Alleinstellungsmerkmal haben, nämlich die einzige Nicht-Google-Hardware, die ab Werk GrapheneOS (bzw. die modifizierte Variante AphyOS) bietet.

Dazu kommt smartes Marketing (Privacy, Minimalismus, Digital Detox) und einen neuen Weg bei der Monetarisierung. Für mich klingt das durchaus gut geplant und überlegt, wenn denn auch die Umsetzung stimmt.

Ich habe bereits erwähnt, dass ich selbst ein Gerät des Schwesterunternehmens Punkt besitze. Meine Erfahrungen sind da allerdings sehr durchwachsen. Die schöne Hardware leidet unter sehr mangelhafter Software, die das Unternehmen in drei Jahren nicht in den Griff bekommen hat. Ein Alleinstellungsmerkmal des MP02 ist die Unterstützung für den Signal Messenger. Durchaus eine Herausforderung, weil Signal von Haus aus keine Dumb Phones unterstützt und somit kommt es regelmäßig zu Inkompatibilitäten des eigenen Clients (Pigeon nennt er sich) und Signal selbst. Punkt braucht meistens mehrere Wochen, um die Probleme zu fixen. Alles in allem, habe ich den Eindruck, als säßen da nicht mehr als zwei Junior-Entwickler, die überfordert sind.

Auch bei den eigenen Versprechen zeigte sich Punkt wenig glaubwürdig. Das MP02 der ersten Generation wurde auch im Sinne der Nachhaltigkeit vermarktet. Dass man zwei Jahre nach Verkaufsstart ankündigte, eine neue Generation auf den Markt zu bringen und die erste Generation keine OS-Updates mehr bekommen wird, war ein echter Bruch der Glaubwürdigkeit. Entsprechend ist die Stimmung auf Reddit gegenüber Unternehmen und Produkt größtenteils negativ.

Dennoch wünsche ich mir den Erfolg. Europa braucht mehr Unabhängigkeit bei der digitalen Infrastruktur. Ich erinnere mich gut an die wilden Trump-Tage. Wer weiß, was bei solch einem Präsidenten alles passieren kann, wenn ein Handelskrieg ausbricht. Wenn die EU den Zugriff auf die US-Anbieter verliert, würden hier plötzlich Smartphones nutzlos werden, Kommunikation einbrechen und Unternehmen zum Erliegen kommen. Ein europäisches OS, basierende auf Open Source wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Souveränität.

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