Technische Branchenlösungen sind langweilig, hässlich und sehen nach Windows 3.11 aus. Trotzdem werden sie eingesetzt. Täglich, über Jahre. Oft noch lange nachdem Updates und Support eingestellt wurden. Ich habe erlebt, dass PCs nicht erneuert wurden, weil sonst "die Branchenlösung" nicht mehr laufen würde. Als das nicht mehr möglich war, wurde eine virtuelle Maschine mit "altem Windows" erstellt, um das Programm weiter verwenden zu können. Klingt etwas verrückt, oder?
Nun, Branchenlösungen lösen spezifische Probleme einer Branche. Logisch, sagt ja der Name. Während sich die IT-Landschaft ständig wandelt, bleibt das zu lösende Problem oft dasselbe. Da diese Lösungen nur intern verwendet werden und treu dem Motto „never fix a running system“ folgen, bleiben sie im Einsatz – oft auch, um Kosten zu sparen. Die Integration in die moderne IT-Landschaft wird immer schwieriger, aber der Leidensdruck ist nicht hoch genug, also bleibt alles beim Alten.
Besonders schwierig wird es, wenn eine Lösung über verschiedene Betriebe hinweg verwendet wird oder gar in der Branche weit verbreitet ist. Dann wird eine Veränderung nahezu unmöglich. Man ist regelrecht eingeschlossen – ein klassischer Lock-in-Effekt. Der Platzhirsch, der diese Lösung anbietet, hat den Markt fest im Griff, und Alternativen haben es schwer, Fuß zu fassen, da der Wechsel zu aufwendig und kostspielig ist.
Gleichzeitig haben sich die Möglichkeiten, digital und mobil zu arbeiten, drastisch verändert. Weblösungen, Progressive Web Apps, Chromebooks, iPads und Co. haben die Art, wie wir arbeiten, revolutioniert. Tools wie Zapier, Make oder n8n treiben nicht nur die Digitalisierung, sondern auch die Automatisierung voran. Doch viele Branchenlösungen hinken hinterher. Sie bieten oft nicht einmal zugängliche Schnittstellen für einfache Integrationen, geschweige denn moderne APIs, die mit aktuellen Standards kompatibel sind.
Interessanterweise erleben alte Datenbanken gerade ein Revival. Dank nahezu unbegrenztem RAM und Speicherplatz und den schnellen Zugriffszeiten von SSDs können sie plötzlich wieder mithalten – zumindest in manchen Szenarien. Aber das ändert nichts daran, dass diese Lösungen oft klobig, unflexibel und, ja, hässlich bleiben. Sie lösen ein spezifisches Problem auf einfache Weise, und genau deshalb haben sie sich durchgesetzt. Der alte Rechner wird behalten, die Software bleibt, weil sie „funktioniert“. Das Problem, das sie löst, hat sich nicht verändert – warum also etwas Neues entwickeln?
Doch der Preis für diese Stagnation ist hoch. Moderne Anforderungen wie Cloud-Integration, Echtzeit-Datenanalyse oder mobile Nutzung bleiben unerfüllt. Der Markt für solche Branchenlösungen ist oft klein, spezialisiert und von wenigen Anbietern dominiert, die wenig Anreiz haben, ihre Produkte weiterzuentwickeln. Für Unternehmen bedeutet das: Man bleibt in einer veralteten Technologie gefangen, während die Welt draussen längst weitergezogen ist.
Was wäre die Lösung? Ein erster Schritt könnte sein, offene Schnittstellen und moderne Standards zu fordern, um die Integration in zeitgemäße Systeme zu ermöglichen. Noch besser: Neue, flexible Lösungen entwickeln, die nicht nur das spezifische Problem der Branche lösen, sondern auch mit der dynamischen IT-Welt mithalten können. Das erfordert Mut, Investitionen und den Willen, den Status quo zu hinterfragen. Denn so praktisch die alten Branchenlösungen auch sein mögen – in einer Welt, die sich rasant verändert, ist Stillstand keine Option.
Es ist Zeit, den Windows-3.11-Look endgültig in den Ruhestand zu schicken.
Es ist Zeit, den Windows-3.11-Look endgültig in den Ruhestand zu schicken.