Tassilo Jung

February 9, 2025

"Das kann ich besser booken."

Haben wir alle Dutzende Male gesagt, oder? "Jo, das könnte ich besser." Aber das ist eine unglaublich kurzsichtige Aussage, die keinem tieferen Gedankenprozess standhält:

Eventuell kann ich etwas besser schreiben als ich das gerade ausgeführt gesehen habe. Das ist auch schon eine ziemlich heftige Aussage, aber lassen wir die für die erste Hälfte des Beitrags mal stehen.

Mit dem Schreiben ist es nicht getan. Schreibe ich eine TV-Serie, dann kann ich mich in der Regel darauf verlassen, dass ich genau meine Szenen mit genau meinen Darstellern abdrehen (lassen) kann. Ich habe alle Voraussetzungen, um das Geschriebene auch auf Film zu bringen 

Beim Wrestling ist das nicht der Fall. Wrestling findet live vor Publikum statt. Wenn bei einem Event morgen eine Entwicklung stattfinden soll und ein Wrestler ausfällt, dann kann ich den Dreh nicht wie bei einer Serienproduktion auf nächste Woche verschieben. Ich muss dann mein Skript kurzfristig so anpassen, dass die Geschichte trotzdem weitergeht. Das, was am Ende im Showskript steht, ist sehr häufig eine Anpassung an reale Gegebenheiten und nicht die ursprüngliche Idee.

Ich wiederhole: Wrestling findet live vor Publikum statt. Bei TV-Produktionen arbeitet der Schreiber mit professionellen Schauspielern, die wenn notwendig Dutzende Takes abfilmen bis die Szene genau passt. Wenn ein Wrestler in den Ring geht und irgendetwas macht, dann ist das geschehen. Hat jemand einen Schlüsselsatz vergessen? Hat jemand anders agiert als es gedacht war? Hat der Kameramann eine Schlüsselszene verschlafen? Ging eventuell sogar eine wichtige Szene völlig schief? War die Reaktion des Publikums anders als erwartet? Damit ist der Drops gelutscht. Das ist nun die Realität und nicht mehr das Skript. 

Da reden wir gar nicht über Gründe. Im besten Fall ist es, weil ein Wrestler eben kein professioneller Schauspieler ist und "nebenbei" auch noch 8-25 Minuten Leistungssport betreibt. Im schlimmsten Fall ist es, weil ein Wrestler keinen Bock auf diese Darstellung seines Charakters hatte und eben für sich selbst Business gemacht hat.

Unabhängig davon, woran es liegt: Das, was ihr am Ende bei Shows seht, ist seltenst genau das, was sich der Booker gedacht hat. Dessen Aufgabe ist es, nach jeder Show die Puzzleteile neu zusammenzusetzen, sodass sich wieder etwas Vernünftiges ergibt.

Von daher: Hätte ich etwas besser schreiben können? Das weiss ich nicht. Ich weiss nicht, was jemand anderes geschrieben hat. Ich weiss nur, was geschehen ist.

Nehmen wir eine zweite Ebene dazu und reden über das, was man schreibt: 

Wir als Wrestlingfans haben sehr unterschiedliche Präferenzen, wen und was sie sehen wollen. Wir haben ebenso unterschiedliche Präferenzen, was für ein Produkt wir sehen wollen. Hier einen gemeinsamen Nenner zu finden ist schon eine Herausforderung. In der Regel schreibt der Booker nicht für sich, sondern versucht, einen möglichst breiten Geschmack in seiner Zielgruppe zu treffen.

Manch einer hat denselben Anspruch an Pro Wrestling wie an absolute Topp-Serien und möchte jede Wendung jedes Charakters möglichst genau mit dessen Motivation erklärt bekommen und über eine Dekade stringent halten. Sobald das nicht erfüllt ist, ist ein Produkt für denjenigen schlecht geschrieben.

Ich behaupte: Der Grossteil des Publikums möchte das nicht, weil er Wrestling oder die einzelnen Wrestlingpromotions nicht so intensiv verfolgt. 

Ich bin absolut überzeugt davon, dass der überwiegende Prozentsatz der Menschen, der bei wXw im Jahr in der Halle ist, das ganz genau in seiner Region ist und so wXw ein bis sechs Wochenenden im Jahr sieht. Vielleicht auch nicht mal jedes Jahr. Dieser Fan hat zurecht den Anspruch, in der Halle abgeholt und mitgenommen zu werden. Er hat den Anspruch, dass er alles versteht, in die Storyline abtauchen kann und nur so viel Vorwissen benötigt, wie ihm in der Show erklärt wird. Dass das ultimativ unvereinbar ist mit demjenigen, der gerne Sopranos mit Wrestlingmatches sehen möchte, ist klar.

Für mich ist die Aufgabe eines Independent Wrestlingbookers, Menschen einen schönen Abend zu ermöglichen. Das inkludiert die Wrestler, das Team und alle Fans in der Halle. Dazu gehören zumeist Storylines und die dürfen auch besondere Elemente haben, die langjährigen oder besonders involvierten Fans einen Mehrwert für ihre Treue geben. Die dürfen aber nicht so kompliziert sein, dass jemand nicht einfach für einen Abend in die Halle gehen und emotional mitgenommen werden kann. 

Von daher ist mein Ansatz: Lieber eine Runde simpler als zu verkopft - und immer so, dass eine Idee auch mal scheitern kann ohne dass dadurch die Welt untergeht.

About Tassilo Jung

COO von wXw Europe GmbH, wXw Wrestling Academy UG & wXwNOW GmbH (aktueller Eventkalender). Hintergrundgedanken zu den wXw-Unternehmen.