Tassilo Jung

April 11, 2025

Es lohnt sich wählerisch zu sein

Liebe Wrestler: Ganz viel und überall zu arbeiten ist nicht immer richtig.

Das ist die Sichtweise eines Veranstalters, nicht die eines Wrestlers. Es sind Verhaltensmuster, die ich regelmässig beobachte und die vielleicht kurzfristig richtig, aber langfristig falsch sind.

Es gibt Zeiten in der Karriere, in der Wrestler alle möglichen Bookings (innerhalb gewisser Parameter natürlich) annehmen sollten. Ohne Zweifel ganz zu Beginn, wenn jede Praxis notwendig ist. An der Stelle, an der man Wrestling zu seinem Job machen möchte und seine sonstige Arbeitszeit verkürzt. Vielleicht auch ganz am Ende für die letzten Zahltage.

Und es gibt die anderen Zeitpunkte, an denen das kurzfristig finanziell richtig sein kann, aber mittelfristig nicht, weil man sich selbst entwertet.

In meiner Generation ist das Beispiel simpel: Hulk Hogan wrestlen zu sehen, war etwas ganz Besonderes, weil der zwar im Roster war, aber eben nicht jede Woche im Fernsehen gewrestlet hat. Er ist damit immer speziell geblieben. Ihn zu sehen, war keine Selbstverständlichkeit. Das hat Ratings, PPV-Käufe und Ticketeinnahmen gebracht.

Ab und an kommt ein Wrestler zurück auf den Markt und jeder will ihn sehen. Dann gibt es diejenigen, die sofort absolut jedes Booking für jede Promotion zu ihrem Preis zusagen. Der Run funktioniert, aber deren Hype ist nach sechs Monaten weg. Und es gibt diejenigen, die das smarter spielen und in einer ersten Welle bewusst nur für Topp-Promotions antreten, damit einen Run durchziehen und danach den zweiten Run, in dem sie überall antreten, rausholen. Die schaffen es so, ihre Laufzeit direkt zu verdoppeln. Liegt auch auf der Hand, oder?

Das gilt auch andersherum - so wie ein Wrestler an der Spitze des Marktes eintreten kann und seine Auftritte dann nach unten öffnet, so versucht doch der Grossteil, von unten an diese Spitze zu kommen. Das funktioniert analog: Wenn ich auf meinem Markt immer besser werde, dann lohnt es sich, irgendwann bewusst Qualität über Quantität zu setzen. Ich sollte an dem Punkt ankommen, an dem ich für manche meiner bisherigen Promotions nicht mehr antreten möchte, weil ich zu grösseren Veranstaltern will.

Aus dem Blickwinkel wXw: Es gibt diejenigen Wrestler, die für uns interessant werden und die bei zahlreichen Events sowieso anwesend sind, um gesehen zu werden und dann kurzfristig auf Events zu rücken. Und es gibt diejenigen Wrestler, für die wir mal einen kleineren Spot hätten und die dann den Kalender bereits auf drei Monate so zugeblockt haben, dass sich das nicht ausgeht. Die landen dann eventuell nie bei uns, weil jemand anderes genau ihre Rolle genau zu dem Zeitpunkt eben ausfüllen konnte.

Ich verstehe auch jeden, der besonders gerne Events nah an Zuhause annimmt. Nicht zehn Stunden reisen zu müssen, um wrestlen zu können, ist Luxus. Wenn der Hometown Hero jedoch bei fünf Promotions innerhalb einer Stunde um seine Stadt herum antritt, dann nutzt sich das Besondere ganz schnell ab. Beim ersten Mal ist noch Medieninteresse da, reagieren die Fans ganz besonders und kommen Freunde & Familie in die Halle. Bei der zehnten Show im Jahr ist das ganz sicher nicht mehr so. Dann ist das immer noch ein schöner Hometown-Pop, aber ein Draw ist es nicht mehr.

Ich nehme bewusst ein fiktives Beispiel. Wenn ich sowieso weiss, dass der Wrestler aus Freiburg bei jeder der zehn Shows im Jahr in Freiburg und dazu noch auf 75% aller anderen Shows von Karlsruhe bis Basel antritt, dann ist derjenige leider nichts besonderes mehr - und das eben auch für alle seine Veranstalter, für die er eigentlich klar der Star sein sollte.

Selbes Argument: Wrestler ab einem gewissen Stand sollten nur noch in absoluten Ausnahmefällen (zumeist um irgendwem aus dem direkten Netzwerk eine einmalige Erfahrung zu ermöglichen, die anders nicht drin wäre) auf Nachwuchsevents antreten. Wie soll ich denn irgendeinem Casual-Fan vermitteln, dass ich ein Star bin und mein Main Event 50+ EUR Eintrittsgeld wert ist, wenn ich auch regelmässig für 5 EUR in einer Trainingshalle zu sehen bin?

Selbst wenn wir das Thema körperliche Langlebigkeit ausklammern: Liebe Kollegen, es lohnt sich, an vielen Stellen der Karriere wählerischer zu sein. "Less is more" hört jeder Wrestler im Bezug auf seine Arbeit im Ring regelmässsig, aber das gilt häufig genug auch für die Menge an Events und besonders für die Menge an Events in bestimmten Regionen.

About Tassilo Jung

COO von wXw Europe GmbH, wXw Wrestling Academy UG & wXwNOW GmbH (aktueller Eventkalender). Hintergrundgedanken zu den wXw-Unternehmen.