Martin Stroschein

March 8, 2021

Desinformation und Kaputtkommunikation in Zeiten von Corona

Was gibt es Schöneres für den allerersten Eintrag in einem Blog als ein Rundumschlag gegen die Informations- und Kommunikationspolitik der letzten 13 Monate? Nicht viel.

Was motiviert mich hier? Wird nicht sowieso zu viel kommuniziert? Haben wir nicht eben das Problem, dass wirklich jeder seinen Senf abgibt, und es gibt doch eh bei 30 Leuten 17 Meinungen, wie ich gestern gehört habe? Muss man nicht jedem seine Meinung lassen? Ist nicht jede Meinung zunächst einmal gleich wertvoll und sollte ihr nicht gleich viel Zeit zugesprochen werden?

Und dann auch noch ein Blog?

Nun, das Problem ist aber ebendieses Rauschen. Es gibt in dieser Pandemie sehr viel davon, und das Versagen, das ich hier adressieren will, ist:

Eben jene, die das Rauschen von den Fakten / Informationen trennen sollten, haben bei eben dieser essentiellen Aufgabe komplett versagt.
Daraus abgeleitet Handlungsanweisung für die Zukunft: Nicht mehr weiter so. Medien und Politik müssen sich hinterfragen und ihre Kommunikation / Entscheidungsfindung anpassen.
Die Bürger sollten vor allem hinsichtlich Risiken und Übertragungsweg so gut informiert werden, wie sie es sein könnten. Aktuell werden sie im Stich gelassen.

Let me elaborate.

These 1: Die allgemeine Bevölkerung wurde bei der Einschätzung, wie das Virus eigentlich explizit übertragen wird, komplett alleine gelassen.

These 2: Die allgemeine Bevölkerung weiß nach wie vor nicht, welche Maßnamen warum ergriffen werden.

These 3: Der Teil der Expertenschaft, der der Wissenschaft zuzuordnen ist, wurde bei der Kommunikation ihrer Erkenntnisse komplett alleine gelassen und bestimmte Fehlkommunikationen sind unverschuldet Ergebnis dessen.

These 4: Die Politik hat in ihrem Bestreben, möglichst wenig "Sand ins Getriebe" zu lassen, manipulative Informations-Tricks angewendet, die erhebliche unerwünschte Seiteneffekte zur Folge hatten.

These 5: Niemand scheint bereit zu sein, sich und vor allem auch erfolgte Beschlüsse kritisch zu hinterfragen.

These 6: Die klassischen Medien haben in jederlei Hinsicht komplett versagt.

Zu These 1:
Beispielhaft für das Versagen der Kommunikation sei ein Artikel der News-Seite der University of Arizona genannt, der sich auf mehrere Studien bezieht.

Darin wird bereits im August 2020 schlüssig argumentiert, dass sich das Virus per Aerosol ausbreitet und dass die asymptomatische Übertragung eine sehr große Rolle spielt (bis zu 30% der Infizierten entwickeln keine Symptome und sind dennoch Überträger).

Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang: Im August wurde das bereits in Wissenschaftsjournals als Ergebnis publiziert, aber die fundierte Aussage ist deutlich älter.

Zeynep Tufekci, Journalistin aus den USA, hat bereits seit Frühjahr 2020 intensiv dazu publiziert, ihr Twitter-Account @zeynep ist eine dringende Follow-Empfehlung. Mehrere Aussagen von ihr leihe ich mir nachher noch.

Relativ früh war genauso klar, dass Schmierinfektionen so gut wie keine Rolle bei der Übertragung spielen. (Hint bei der Google-Suche: Ins Suchfeld before:2020-04-30 eingeben, dann findet man alles bis Ende April 2020.) Eine kursorische Sichtung des frei Online verfügbaren Materials ergibt: Bereits sehr früh war klar, dass Schmierinfektionen (jemand hustet auf einen Salat, wir essen den Salat, wir haben den Salat) de facto keine Rolle spielen.

De facto. Da haben wir ein entscheidendes Wörtchen. Dafür flugs zu These 3: Wichtig zu wissen und zu beachten: Wissenschaftler kommunizieren untereinander sehr genau. Sie werden niemals sagen etwas spiele definitiv keine Rolle, weil es eben immer eine winzig kleine Chance gibt, dass wir empirisch nicht zu 100% ausschließen können, dass etwas passiert, etc. pp.

So ist es auch in diesem Artikel der Lausitzer Rundschau. Thema sind die Schmierinfektionen.

Dieser Satz beruhigt:

Für den Leiter des Gesundheitsamts in Frankfurt/Main steht fest: "Wenn bei Corona tatsächlich eine solche Schmierinfektion möglich wäre, wäre die Kurve der Krankenzahlen viel steiler."

Lausitzer Rundschau Online lässt dem aber folgen:

US-Wissenschaftler haben jedoch herausgefunden, dass eine Ansteckung über Oberflächen grundsätzlich möglich wäre. Auf Pappe sei das neuartige Corona-Virus Sars-CoV-2 etwa einen Tag lang lebensfähig und auf Kupferoberflächen bis zu vier Stunden, schrieben sie im "New England Journal of Medicine". Ob aber genügend Viren überleben, um einen Menschen zu infizieren, ist zweifelhaft.

Resultat: Verunsicherung. Die Botschaft ist aber eigentlich: Zum Glück forscht man weiter an dieser Angelegenheit, aber liebe Leser, denken wir mal zusammen nach: Wenn dem so wäre, wäre die Kurve der Krankenzahlen viel höher, siehe oben! Diese schlüssige Schlussfolgerung lassen wir hier doch nicht einfach so unter den Teppich gekehrt, oder, lieber Leser. Oder?

Doch. Es bleibt nämlich hängen? UNSICHERHEIT.

Es gab aber de facto (da ist es ja wieder) KEINE Unsicherheit. Wir haben das ganze Jahr eingekauft ohne dass es zu massiven Ausbrüchen kam.

Dies ist, wenn wir im Jahre des Herrn 2021 immer noch nicht klar sagen, dass es de facto keine Schmierinfektionen in größerem Umfang gibt, ein Totalversagen der Kommunikation.

Stattdessen: Überall stehen Desinfektionsmittelspender rum.

Warum ist das schädlich? Weil es suggeriert und vom Wesentlichen ablenkt. Oder sagen wir anders: Eigentlich gut, wenn sie da stehen und sie sollen es auch weiterhin wenn allen klar gemacht wird, dass sie IMMER gut sind, weil saubere Hände IMMER GUT SIND.

Denn was ist das Wesentliche, das kommuniziert werden sollte?

Was ist das — man kann es nicht oft genug wiederholen — WESENTLICHE?

Aus einem Tweet von Zeynep Tufekci:

The papers were there. We had the trifecta we needed know to help contain this in February of 2020—that it spread before symptoms emerged (unlike SARS) and that it was airborne and superspreading driven (like SARS). [Emphasis mine.]

Mit airborne ist gemeint: Übertragung per Aerosol. Nicht Tröpfchen. Aerosol.

<aside> Ist der allgemeinen Bevölkerung sofort und vollkommen klar, dass es hier einen Unterschied gibt? </aside>

Bereits im Frühjahr des elenden Jahres 2020 hätte man sich die Verbreitung von E-Zigaretten zunutze machen können, um anhand des Aerosol-Nebels, den diese Geräte produzieren, sehr vieles über die Übertragung von Covid zu veranschaulichen.

Innenraum-Bedampfung: Wie schnell und wie weit weg schwabt der Nebel noch schwadig umher? Wie weit kann man ihn riechen? JEDER, der als Nikotin-Junkie im Kino insgeheim E-Zigarette gedampft hat, weiß außerdem, dass man einfach in seinen Pulli dampfen kann, um sein Gedampfe zu verheimlichen. Gedämpftes Dampfen als Indikator der Nützlichkeit von (sogar schon bloßen) Stoffmasken.

Man kann daran auch schön sehen, wie an einer FFP2-Maske seitlich trotzdem ein bisschen was rauskommt.

Und wie viel davon hat man bei Tagesschau gesehen, bei Heute, bei RTL Aktuell, bei Welt und N-TV?

Leute, geschickte Kommunikation zu Aerosol-Nebeln, Aerosol-Verdichtung, Aerosol-Verdünnung an der frischen Luft / beim Lüften HÄTTE LEBEN GERETTET!!! — But I digress.

These 4: Was haben die Politiker in all der Zeit gemacht? Nun, zum einen schonmal weder zugehört noch gelesen:

  • sonst wäre keiner verbohrt und uninformiert genug gewesen, eine generelle Lockerung zum Innenraum-Gruppenfest Weihnachten in Aussicht zu stellen
  • UM DANN DIE AUẞENLUFT ZU SILVESTER ZUR SPERRZONE ZU MACHEN

  • dann wären FFP2-Masken viel früher in Massenproduktion geschickt worden
  • dann wären ALLE Innenraumaktivitäten VIEL stärker reguliert und kontrolliert, wie zum Beispiel:
  • BÜROS, for fuck's sake. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass sich die Leute beim Essen in der Firma in der Kaffeeküche ohne Masken unterhalten, Fenster zu. HOW IS THAT SINNVOLL??? (I digress again.)

  • Dass Masken grundsätzlich sinnvoll sind, kam auch viel zu spät in der Politik an (vielleicht hatten die CDU/CSU-Kollegen noch zu tun beim Koordinieren ihres Korruptionsnetzes?); 
  • Schnelle und saubere Kommunikation hätte auch hier LEBEN GERETTET.

  • Jugendliche, die sich nachts DRAUẞEN in Kleingruppen zum Bierchen treffen wollten, wurden geschickt daran gehindert durch bspw. diverse Kontrollgänge der geballten ordnungsbeflissenen Exekutivmacht im Olympiapark München. Sicher trägt diese nicht im mindesten undurchdachte Maßnahme nicht zu Innenraum-Partys bei. Sicher nicht. Aber suggeriert das nicht, dass der Staat alles unter Kontrolle hat? Ja, Suggestion, wie ein billiger Trickbetrüger auf dem Jahrmarkt. Wenigstens sind Jahrmärkte zu. Sind ja draußen. Argh.

  • Zoos und Open-Air-Flächen werden geschlossen, statt aus den Erkenntnissen des Frühjahrs abzuleiten, dass dort DE FACTO keine Gefahr droht: Man hätte ALLES an der frischen Luft, wo es nicht zu dichtem Gedränge kommt, freigeben können. (@zeynep again: Sie sucht seit einem Jahr in den USA nach einem Superspreader Event, dass bei Frischluft-Gelegenheiten ungleich Sport-Events passiert ist: bisher gefundene Anzahl solcher: null.).

  • Vereinsaktivität an der frischen Luft: Verboten.
  • Hundeschulen an der frischen Luft: Verboten. (Dies zudem, wo gerade ein irrer Run auf Welpen ausgebrochen ist. Das gibt sicher viele super sozialisierte Hunde in einem Jahr.)
  • Dass zum Beispiel Hundeschulen bald wieder öffnen dürfen, liegt übrigens nicht an einem wünschenswerten Umdenken, sondern ist Folge einer weiterhin weitestgehend unverständlichen Einsortierung diverser Aktivitäten. Warum par example Blumenläden vor Hundeschulen? Fragen Sie doch den Gilb, der macht Gardinen schmutzig und grau. Auch Ihre.

Die Politik hat gezeigt: Echte Kommunikation mit guter Faktenlage scheitert schon beim Gang von Ohr zu Hirn; was dann aus dem Mund oder Stift kommt, darüber reden wir dann lieber nicht mehr.

In all die Fehlentscheidungen der Maßnahmen kam dann noch stures Festhalten an denselben UND NULL KOMMUNIKATION ÜBER DIE BEWEGGRÜNDE. Warum wann was aufmacht? Fuck me if I know. Welche Inzidenz reicht wofür? Die haben sich ja nicht einmal die Zeit genommen, der Bevölkerung einleuchtend zu kommunizieren, WAS INZIDENZ EIGENTLICH BEDEUTET and why it matters.

Reden wir an dieser Stelle lieber auch nicht über Fleischindustrie, Autoindustrie, die Lufthansa, oder Lobby-Arbeit generell. Lieber nicht.

Zu alldem fügt sich meine These 5, dass an den Richtlinien dann festgehalten wird, EGAL WAS KOMME. Impfstoff liegt auf Halde? Wir müssen aber stur nach Katalog impfen, KEINE AUSNAHMEN, sei es sinnvoll, oder nicht.

<aside> Sinnvoll ist, so viele so schnell zu impfen, wie es geht. Auch der gesunde Krawatten-Yuppie in der U-Bahn (we never talked about ÖPNV) hilft der Oma, wenn drei Ansteckungen weiter der Pfleger gewesen wäre!!! </aside>

Und dann die Medien. Oh, die Medien. These 6. Mein Kernaufreger. 

Wen lädt man ein. Was fragt man. Was ist "Objektivität".

"If someone says it's raining, and another person says it's dry, it's not your job to quote them both. Your job is to look out the fucking window and find out which is true." —Sally Claire (from a Journalism 101 course).

Was die Medien im letzten Jahr aber stattdessen gemacht haben: IMMER WIEDER SO VORGEHEN, ALS WÜSSTE MAN NICHT, OB ES REGNET. NEIN, ALS KÖNNTE KEINER MIT SICHERHEIT WISSEN, OB ES REGNET. ACH WAS, WAS REGEN IST. "WAS IST WASSER und warum sollen wir IHNEN DAS GLAUBEN??!"

Jeder Gast, jedes Interview hätte als Basis haben MÜSSEN: Wir wissen um die Aerosole. Wir wissen, dass Masken wirken. Wir wissen, dass Innenräume SCHLECHT sind, außer man lüftet MASSIV! Wir wissen, draußen ist NICHT SO SCHLIMM™, aber tragt nah beieinander trotzdem Maske. DAS WISSEN WIR ALLES.

Eigentlich hätten die Medien genau das auch gekonnt. EIGENTLICH!

Denn, was scheinbar keiner in den Redaktionen der meistgesehenen, -gelesenen, -sonst-wie-konsumierten Medien gemacht hat, ist RECHERCHIEREN und die Fakten sauber aufschreiben.

Als Fazit aus dem ganzen Mist bleibt These 2: Die allgemeine Bevölkerung weiß noch immer nicht so recht, wie und was und vor allem WIESO.

Wie auch. Das kann man ihr in diesem Rauschen nicht verübeln.

Das Versagen, das liegt woanders.

Darum schließlich mein Appell: Medien, hinterfragt euren bisherigen Ansatz. Politiker, tut das gleiche. Lasst die Bürger nicht allein im Rauschen der Desinformation.

PS: Lasst euch impfen. Auch mit AstraZeneca. Ja, auch der wirkt. #ferfooksake.