[EDIT: Links zu einem Lancet-Paper, und einem Brief im Science Magazine, die meinen Post wissenschaftlich unterfüttern.]
Eigentlich hatte ich ja geplant, den Risikobewertungs-Post auf Englisch zu formulieren, aber die englischsprachigen Länder kommen im Moment auch so ganz gut zurecht, daher doch wieder auf Deutsch.

Eigentlich hatte ich ja geplant, den Risikobewertungs-Post auf Englisch zu formulieren, aber die englischsprachigen Länder kommen im Moment auch so ganz gut zurecht, daher doch wieder auf Deutsch.

tl;dr (too long; didn't read)
- Tröpfcheninfektionen spielen bei Sars-CoV-2 so gut wie keine Rolle.
- Schmierinfektionen finden so gut wie nicht statt.
- Aerosolinfektionen sind der Treiber des Pandemiegeschehens.
- In Innenräumen ist die Gefahr immens.
- Innen kann man sich nur mit FFP2 und äquivalenten Masken schützen.
- Innen nutzt Abstand fast nichts.
- Draußen reicht Abstand und eine Stoffmaske für Risiko nahe Null.
- Diese Sachverhalte sollte eigentlich die Politik koordinieren, kommunizieren, und darauf ihre Vorgaben und Gesetze ausrichten. Sie tut es aber nicht.
- Maskenpflicht auch in der Kaffeeküche, am Band, überall im Inneren, müsste absolut verpflichtend sein, unter Haftung für Unternehmen.
- Inzidenzen asap runter auf unter 35 sollte sich außerdem eigentlich von selbst verstehen.
Grundlagen des Verhaltens von Viren
Es gibt aus meiner Erfahrung mehrere Grundlegende Missverständnisse über die Funktionsweise und Vermehrung von Viren, die in der Bevölkerung vorherrschen:
- Viren sind wie Bakterien und vermehren sich "von selbst"
- Viren hat man oder nicht (ganz oder gar nicht), die Menge an Viren spielt keine Rolle
- Das Immunsystem kann Viren abwehren oder nicht (ganz oder gar nicht), es gibt keine Abstufungen
Zunächst einmal ist wichtig zu verstehen: Viren sind eben nicht wie Bakterien ein Organismus mit eigenem Stoffwechsel und Vermehrungsmöglichkeiten aus sich selbst heraus.
Viren sind quasi kleine Proteinkapseln mit DNA/RNA (Virionen), die auf das Andocken an eine Wirtszelle angewiesen sind, um eine Vermehrung herbeizuführen. Sie können nichts aus sich heraus. Sie bewegen sich nicht eigenständig, sie essen nicht, sie "leben" nicht.
Befallene Zellen erhalten die in den Virionen enthalten Erbinformationen nach dem Andocken und werden quasi "gekapert". Die Zelle entartet und wird gezwungen, neue Virionen herzustellen.
Das Immunsystem will das natürlich verhindern, kennt aber am Anfang den Eindringling noch nicht.
Wenn ein gesundes Immunsystem genug Zeit hat und nicht komplett überwältigt wird, kann es Antikörper bilden, die Virionen daran hindern, neue Zellen zu befallen. Befallene Zellen werden abgestoßen.
Es ist also aus diesem Mechanismus sofort einleuchtend, dass die Anzahl der so schnell wie möglich befallenen Zellen hochgradig relevant ist:
Das Virus muss so schnell wie möglich mit einer möglichst hohen Viruslast zuschlagen, um das Immunsystem maximal zu überrumpeln.
Deswegen ist die Viruslast auch so wichtig!
Wenn nur wenige Virionen auf einmal zuschlagen, dann geht der ganze Plan nicht richtig auf: Man erkrankt nicht oder nur leicht, man ist dann auch nicht in der Lage genug neue Virionen "herzustellen" und somit verpufft die Weiteransteckung hier. Im besten Fall hat das Immunsystem sich die Attacke gemerkt und weitere Ansteckungen werden noch unwahrscheinlicher.
Für ihre Vermehrung gilt also:
- Viren müssen genug Körperzellen auf einen Schlag befallen.
- Sie müssen das tun, bevor das Immunsystem "Wind davon bekommt" und den "Ansturm" verhindert.
- Je mehr Zellen befallen werden können, desto mehr Virionen können produziert werden, bevor doch eine Gegenwehr einsetzt.
Grundlagen der Übertragungswege
Grundsätzlich spielen bei Atemwegs-Viren drei mögliche Übertragungswege die Hauptrollen:
- Tropfeninfektionen
- Schmierinfektionen
- Aerosolinfektionen
Tropfeninfektionen sind leider der Verräter in der Runde, weil man sie aus bisheriger Erfahrung mit der Influenza (echte Grippe) sowie vielen "gewöhnlichen" Erkältungen lange für den Hauptübertragungsweg gehalten hat.
Bei diesen Krankheitsbildern ist allerdings leicht ersichtlich, wie es zu vermehrter Tröpfchenbildung kommt: Geschickterweise für die Influenza und die üblichen Erkältungsviren, verursachen diese bei Erkrankten im virulenten (ansteckenden) Stadium Niesen und Husten: Dabei werden feuchte Partikel in einer Größe von über 5 Mikrometer* in die Luft geschleudert, die relativ schwer sind und recht schnell zu Boden fallen, dafür aber weit geschleudert werden: Aus dieser Tatsache leitet sich die Abstandsregel in AHA ab, aus dieser Tatsache leiten sich die Plexiglasscheiben ab, aus dieser Tatsache leitet sich das Nutzen von FFP1/OP-Masken/Stoffmasken ab, denn diese nützen gegen Tröpchen sowohl beim "Sender" als auch beim "Empfänger".
(* Die Grenze für Tröpfchen ist vermutlich sogar 100 Mikrometer; siehe Links.)
Von gerade westlichen Forschern, der WHO, der CDC in USA, dem RKI in Deutschland etc. wurde aber lange unterschätzt, dass Sars-CoV-2 bereits virulent ist, bevor überhaupt Symptome entstehen, die eine Tröpcheninfektion begünstigen.
Es ist davon auszugehen, dass ein Kranker, der bereits im Stadium der potenziellen Tröpcheninfektion steht, sich so krank fühlt, dass er in der heutigen Situation zweimal darüber nachdenkt, ob er draußen rumläuft. Das hat zur Folge, dass Tröpcheninfektionen so gut wie KEINE Rolle spielen bei der Pandemie. (EDIT: "Feuchte Aussprache" ist zwar eklig, der begleitende Luftstrom aber bei normalem Abstand zu langsam, die Tröpfchen zu groß und zu schwer, und somit ebenfalls zu vernachlässigen. Zudem befällt COVID vorrangig die unteren Atemwege, was auch eher zu Aerosolen aus dem Lungengewebe als zu befallenem Speichel führt. – EDIT 2: Laut verlinktem Paper Enthalten Tröpfchen zudem trotz ihrer relativ höheren Größe messbar weniger Virionen.)
Gleiches gilt für die Schmierinfektion, wo ebensolche Tröpchen sich in ausreichender Menge auf einer Fläche anreichern könnten, um einen Befall durch Kontakt mit dieser Fläche zu verursachen: Es bildet sich de facto in der "freien Wildbahn" nirgends genug infizierte "Schmiere" mit einer ausreichenden Viruslast, als dass dieses Szenario bei Sars-CoV-2 eine Rolle spielen würde.
Weil dieses Virus perfiderweise gerade Lungenzellen angreift und erst ein paar Tage nach Beginn der Virulenz Tröpfchen- und Schmierinfektionen eine Rolle spielen, ist der essentielle, vorherrschende und überaus gefährliche weil unterschätzte Hauptweg die Aerosolinfektion!
Hierbei wird mit dem Atem der infizierten Person eine große Menge an kleinsten Feuchtigkeitspartikel (kleiner als 5 [bzw. 100, siehe oben] Mikrometer) ausgestoßen.
Diese Aerosole sind so leicht, dass sie nicht wie Tröpfchen geschleudert werden und zu Boden sinken: Sie schweben und wabern wie der Nebel aus einer Nebelmaschine.
Aus der Erfahrung mit Nebelmaschinen, die – ja – mithilfe von Aerosolen funktionieren, wird auch schnell klar, warum die Innenräume so viel gefährlicher sind, als alles draußen: Nur in Innenräumen können sich die Aerosole so hoch konzentrieren, nur in Innenräumen verbleiben die Aerosole so lange an einer Stelle, nur per Innenraum kann ein Infizierter so viele andere Infizieren, wie wir es immer wieder im Verlauf der Pandemie gesehen haben:
Die immer wieder vorkommenden "Superspreader"-Events sind überhaupt nur mit der Aerosol-Übertragung erklärbar. Schon im Februar 2020, auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess, war eigentlich klar, dass nur eine Aerosolübertragung über die Belüftungsanlage die Ausbrüche dort erklären kann.
Risikobewertung und Maßnahmen
Es ist ja kein Geheimnis, was ich von den Pandemiemaßnahmen der Bundes- und Landesregierungen in Deutschland seit ca. April 2020, aber insbesondere nach Oktober 2020 halte. Nimmt man aber eine rationale Risikobewertung vor:
- Spielen Parks und öffentliche Plätze eine völlig untergeordnete Rolle beim Infektionsgeschehen. Sie sind weitestgehend sicher.
- Spielt Außensport, wahrscheinlich sogar Kontaktsport (zumindest ohne längere Kontaktdauer), so gut wie keine Rolle beim Infektionsgeschehen
- Spielt Außengastronomie (echt außen, nicht Zelte!) so gut wie keine Rolle beim Infektionsgeschehen, wenn man nicht DIREKT aufeinander hockt
- Spielen alle Innenräume eine sehr große Rolle beim Infektionsgeschehen; insbesondere schlecht belüftete solche
- Spielt die Kommunikationspolitik UND Beschlusspolitik eine MASSIVE Rolle beim Infektionsgeschehen, denn:
- Es wird nicht sauber auf die Risiken von auch nur fünf Minuten ohne Maske im Büro hingewiesen: und nein, Abstand bringt dort nichts! Ein Raum, ein Klimakreislauf, ein Aerosolnebel.
- Es wird mit fehlender Pflicht zu Maske auch auf Nase dafür gesorgt, dass Angestellte das Risiko unterschätzen: Wie sonst ist zu erklären, dass im Drive-Through-Fenster zwei Mitarbeiter*innen ohne Maske direkt nebeneinander stehen? Dass Kassierer*innen im Supermarkt sich hinter dem Plexiglas sicher fühlen auch ohne Maske? Dass die immer wieder genannte Kaffeeküchen-Situation immer wieder auftritt?
- Verdünnen die Verweise auf "Hygiene und Händewaschen" dadurch, dass sie so gleichrangig genannt werden die Botschaft von der Gefahr durch Aerosole.
Nebenwirkungen der Psychologie und Gesetze
Nun würde es ja vielleicht in einer komplett rationalen Spezies reichen, diese Risikobewertung vorzustellen und alle würden sich schön dran halten, weil es ja in ihrem Interesse ist.
Der Mensch ist aber nicht rational. Der Mensch ist psychologischen Effekten unterworfen, die ihn immer wieder zu falschen Entscheidungen führen:
Der Mensch ist aber nicht rational. Der Mensch ist psychologischen Effekten unterworfen, die ihn immer wieder zu falschen Entscheidungen führen:
- Unterschätzung von Gefahr, wenn länger nichts passiert
- Gruppenpsychologische Prozesse (z.B. zwei Freunde gehen in einen Raum ohne Maske, dann folge ich vielleicht auch, um mich nicht doof zu fühlen).
- Generell nicht ängstlich wirken wollen.
- Bedürfnis, andere zu treffen, ihnen nah zu sein.
- Nicht gegen den Chef aufmucken.
- Nicht gegen auch lächerliche und nutzlose Maßnahmen rebellieren wollen.
- Nicht zu viele Fragen stellen wollen.
- Druck.
- Angst.
- Überforderung.
- uvm.
Man kann daher auch nicht auf das rationale Verhalten von vielen hoffen, wenn, und dass ist auch offensichtlich, in den letzten Monaten in weiten Teilen der Bevölkerung und der Politik nicht vorhanden war; sonst wären wir nicht immer noch in dieser Pandemie!
Es bringt auch nichts, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass "die ja selbst schuld sind", "dass man ja wohl Eigenverantwortung erwarten muss", dass man ja wohl erwarten können muss, dass sie sich schon richtig verhalten (werauchimmer: die Partygänger, die Unternehmensbosse, die freiwillig Tests und Masken zur Verfügung stellen sollten, der blöde Nachbar von eine Etage tiefer, egal wer): Da die Effekte alle betreffen, ist völlig egal, wer mehr recht hat. Ob sie sich verhalten hätten sollen ist doch egal, wenn immer wieder sichtbar ist, dass sie es nicht tun!
Man muss als Staat das Zusammenleben steuern. Per Gesetz. Es geht nicht anders: Appelle bringen hier nichts.
Es sollte also per Gesetz geregelt werden:
- Eine Homeoffice-Pflicht.
- Eine Maskenpflicht in geschlossenen Räumen immer und jederzeit.
- Ein Besuchsverbot in Innenräumen, kein Ausgangsverbot: Lieber sollen sich die Leute im Park mit Abstand treffen, als dass sie Übernachtungspartys feiern!
- Draußen weiterhin Abstand und Maske, denn es schadet ja nicht, aber Verstöße nur verwarnen.
- Drinnen, und gerade in Firmen: Die Firmen etc. HAFTBAR machen, wenn sie die Maskenpflicht nicht durchsetzen. In allen Räumen, wo mehr als eine Person länger verweilt.
- Ein harter Lockdown, bis die 7-Tages-Inzidenzen unter 35 sind, sonst ist alles andere eh etwas müßig.
Mein letzter Appell:
Merkt euch das alles für die Klimadebatte. Es hat sich herausgestellt, dass das Appellieren an die Eigenverantwortung der Einzelnen eine Ausrede der Entscheidungsträger ist, selbst keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Es ist ein Strohmannargument.
Fallt bitte nicht darauf herein.