O l i Dee - 2 vor

March 30, 2024

Nicht das System, die Systematik zählt.

Ich sehe eine Vielzahl von Veranstaltungsstatistiken unterschiedlichster Veranstaltungssstätten dieser Republik. Veranstaltungsstätten - also Bürgerhäuser, Stadthallen Kongresszentren, Multifunktionsarenen bis hin zu Fußballstadien. Veranstaltungsstatistiken sind Aufstellungen und Übersichten über alle Veranstaltungen, die in einem Zeitraum darin stattfanden. Man wertet die Vergangenheit aus und nutzt sie mehr oder weniger intensiv für die anstehende Kulturprogramm- und Geschäftsplanung.

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Ebenso erhalte ich die Übersichten in vielfältiger und unterschiedlicher und zum Teil auch kreativer Form, wie man sich es nur vorstellen kann. Von handbeschrieben Zetteln, manchmal auch immerhin eingescannt und als pdf-Datei, über von Hand geführte Excel Übersichten bis hin zu im .csv- oder .xlm-Format exportierte Berichte; also Übersichten von Veranstaltungen des vergangenen Zeitraums. Je nach Auftrag Übersichten der letzten 3, zum Teil auch 10 Jahre. Dabei ist regelmäßig die große Vielfalt der Notation, der Struktur und ... der Systematik bemerkenswert. Und sobald ich dann tiefer grabe, sprich, mich in die Analyse begebe, tritt sie besonders zu Tage: das Problem der S y s t e m a t i k.

Ich erkenne die Grundstruktur, die eigentliche Idee und Absicht der Statistikführung. Ich erkenne aber auch, wie sie sukzessive korrumpiert und umgangen wird. Konsistente Eingaben, Gleichbleibendes, einheitliches Benennen von Arten von Veranstaltungen werden gerne über den Haufen geworfen. Kunden, also Veranstalter heißen immer ein bisschen anders oder werden unterschiedlich geschrieben. Begrifflichkeiten werden bewusst oder unbewusst verwechselt, so dass eine und dieselbe Veranstaltung, die lediglich in 2 unterschiedlichen Räumen stattfindet, schon gerne mal als 2 unterschiedliche Veranstaltungen gezählt wird. Vieles davon ist  pures Gift für Datenbanken. Die lieben Einheitlichkeit und Eindeutigkeit.

Interessant ist, dass es dabei keine Rolle spielt, ob die Übersicht von Hand, aus Excel oder aus einem integrierten IT System kommt. Wir Menschen schaffen es doch immer wieder, uns unseren Weg der Umgehung zu bahnen, und uns mit kreativen Ersatzeingaben vor allem am Rechner selbst zu umgehen. So, wie sich das Wasser seinen Weg bahnt. Immer. Das ist natürlich in Organisationen und Organismen, die aus mehreren Menschen bestehen, geradezu zwangsläufig. Gott sei Dank haben alle ihren eigenen Kopf. Es führt aber zu Problemen.

Kurios wird es dann, wenn man handelnde Personen auf die Inkonsistenz ihrer eigenen Datenlage anspricht. Zum Teil wird auf eine unklare Systematik verwiesen, auf zu viele Köche an den Eingabegeräten oder auch Unwissenheit bei der Zusammenstellung der Jahresdaten, also Unklarheit bei Zielen und Möglichkeiten der eigenen Auswertung. Denn zu wissen, was in einer Halle so stattfand und findet ist essentiell für das Vorankommen und das Erfüllen kultureller und gesellschaftlicher Zielstellungen.

Eine häufige Antwort auf angesprochene Dateninkonsistenz ist der Verweis auf ein fehlendes (IT-)System. Also das Eingeständnis, dass das Pflegen von Hand, sei es per Stift oder per Excel oder "Homebrew"-Lösungen mit MS Access nicht das Gelbe vom Ei sei. Es ist der Schrei nach einem Integrierten System, einer IT-Lösung, dass sowohl die Belegung von Räumen und damit mit Veranstaltungen bestmöglich und weitgehend automatisch und konsistent statistisch führt. Aber das füllt sich nicht von selbst.

Weit gefehlt. Das System ist im Zweifel nicht die Rettung. Wie mir die Daten häufig zeigen: die Daten sind so inkonsistent, wie die Anzahl der Personen, die dazu vor den unzähligen Bildschirmen sitzen. Und da hilft zum Teil das teuerste Raumbelegungssystem nicht. Wir sprechen hier von zum Teil unglaublich teurer Hallenbelegungs- und Veranstaltungsmanagement-Software. Umgekehrt bedeutet das: Man könnte all das auch mit vernünftig und systematisch geführtem Excel lösen oder gar per Hand: Natürlich stark abhängig von handelnden Personen und Organisationsklima. Denn es ist am Ende nicht das System, es ist vor allem die
S y s t e m a t i k.

Erst die Systematik, dann das System? Also "System follows Systematik" oder wenigstens "should be following"? Klingt irgendwie vertraut und auch bekannt. Doch bin ich frei davon?

[Anmerkung: Im Englischen heißen sowohl System als auch Systematik "system". Hm ...?]

Die Entwicklung der Musikproduktion, (harter Cut, ich weiß) und damit gemeint die Demokratisierung der Musikproduktion, hat sich seit den 90er Jahren rasant aus unermesslich teuren Tonstudios in die kleinsten Computer in unsere Arbeits-, Wohn- und Schlafzimmer entwickelt. J e d e r kann nun a l l e s  selber machen. Man muss sich das angesichts der Flut von Songs in den Streaming-Diensten einmal vergegenwärtigen, dass heute jeden seinen Senf aufnehmen und veröffentlichen kann. Problemlos! Das Wort Veröffentlichen bekommt hierbei eine ganz besondere Note. Es verkommt, weil es nichts Besonderes mehr ist. Aber ich schweife ab.

Für die "Musikproduktion auf dem Notebook" ist eine Industrie entstanden, die uns Musikschaffende fest im Griff hat. Sie ballern uns zu mit Tools, so genannter Plug-Ins, in Form digitaler Instrumente oder Werkzeuge zur Klangbearbeitung. Diese Plug-Ins sind kleine Quälgeister digitalen Nichts, die man aber braucht, um Musik irgendwie klangbar und vernünftig hörbar zu machen. Nur verstehen sollte man sie auch.

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Im Prinzip sind die in jeder Musikproduktions-Software bereits enthalten. Man kann sie sich aber auch ergänzend für vermeintlich kleines Geld von weiteren unzähligen Anbietern zwischen 29,99 bis 299 EUR und gerne darüber hinaus kaufen und installieren. Dabei bekommt man von den dahinter stehenden Firmen vermittelt, dass ihres DAS TOOL sei, "... dass deinen Song radio-ready und hitparadentauglich" machen würde. Yeah, right! Ich spreche von so Wunderwaffen wir Equalizer, Kompressoren, Hall- und Delay-Effekten und anderen, noch viel komplexeren Dinge und Geräten - bis hin zu KI-gesteuertem Schnick-Schnack. Und wenn man dieses Marketing-System nicht durchschaut, wird man zum Opfer. Und man bezahlt. Und bezahlt und bezahlt. Rennt einem leeren Versprechen nach dem perfekten Song nach dem nächsten hinterher und kauft sich immer mehr von diesen kleinen Plug-In-Monstern. Un die summieren sich. Und welches Muster steckt neben vielen dahinter: einmal mehr schlägt hier das System die S y s t e m a t i k. Und warum? Weil letztere nicht vorhanden ist oder auf unsichere und unwissende Zeitgenossen trifft, die oder der sich dessen nicht bewusst ist oder daran glaubt: an die Systematik.

Es gibt Schreiner, die arbeiten zum Teil über Generationen mit ein und dem selben Hammer. Denen ist es völlig egal, welche Arten von wahrscheinlich KI gesteuerten, WiFi-fähigen, monderprobten Titan Hämmer mittlerweile existieren. Sie nutzen ein Werkzeug, das funktioniert und schaffen ein Ergebnis. Sie kennen die Systematik und vertrauen ihr. Wenn gehämmert werden muss, wird gehämmert. Egal ob mit alt oder neu, ob grün oder schwarz oder old school oder hip. Hauptsache es hämmert. Gleiches gilt für die Musikproduktion. Ein Kompressor ist ein Kompressor, der die Dynamik eines Klangs, einer Schallwelle, eines Audio-Signals einschränkt. Ja, manchmal mit so genannter gewollter Klangverfärbung (Saturation), aber hauptsächlich wird komprimiert. So! Wieviele Kompressoren, also so genannte Plug-Ins, braucht ein Musikproduzent in seinem Rechner? Wie alt müsste man werden, um die alle jemals sinnvoll in einem Produzentenleben eingesetzt zu haben? Oder umgekehrt: Wie jung zerbricht man an der Vielzahl von Möglichkeiten, an Auswahl, die einen überwältigen und zum absoluten Stillstand führen? Computer voll. Anwendung und Umsetzung Null. Systematik?

Wenn man (s)eine Prozesse kennt, wenn man weiß, WO man ist, WOHIN man will und WELCHEN WEG man einschlagen will, sind die Zutaten, sprich das System, zweitrangig. 

Zeit (und Geld) lieber in das Reflektieren und das Arbeiten in die Systematik stecken. In das WARUM und WIE anstatt das WOMIT. 

Ist irgendwie zielführender als umgekehrt. Natürlich muss man nachhalten, feinjustieren, überarbeiten - es ist ein dynamischer Prozess. Aber es lohnt sich, Zeit in die Systematik zu investieren. 

So könnte ich eine gelungene, aussagekräftige und jederzeit aktuelle Veranstaltungsstatistik entspannt mit ein paar gekonnten Excel-Kniffen erstellen und qualitativ gleichbleibend nachhalten. Es braucht nur eine Systematik. Das System darf gerne folgen - machts hier und da dann schon auch eingabefreundlicher. Gleichzeitig könnte ich ebenso entspannt Musik produzieren, wenn ich mich von all dem Plug-In-Clutter, den Nebengeräuschen, dem Soziale-Medien-Rumgeschrei befreien würde und streng systematisch Musik produzieren würde. Natürlich in kreativen Freiräumen. Denn Hey, "Musik ist Kunst, ist Kreativität". Ohne gehts schon mal gar nicht. Und Musikproduktion ist viel, vor allem auch systematische Arbeit. Ohne gehts (leider) auch hier nicht.

About O l i Dee - 2 vor

Hey! Ich bin Oli, Multiinstrumentalist, Musiker, Produzent und Berater für Veranstaltungsstätten. Ich schreibe ... regelmäßig, unregelmäßig. Mal hier ein Gedanke, dort über eine Aktivität, mal hier ein Text oder dort etwas Musik oder auch Weisheiten, wer weiß, Tipps, Trick und häufig auch nur Fragen. Wer kennt schon die Antworten?

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