Martin Stroschein

March 9, 2021

Follow-Up zur Kommunikation

Mein erster Post war ja ziemlich deutlich als Rant ausgelegt, eine moderne schimpflastige Form des guten alten j'accuse, wenn man so will, und insofern ein bisschen schwach auf der "Was ist denn der positive Weg aus dem Schlamassel"-Brust. 'OK, wenn Politik und Medien so sehr versagt haben, kannst du uns dann nicht etwas detaillierter beantworten: "Und jetzt?"'

"What now? Let me tell you what now."
—Marsellus Wallace

Zunächst: Ich bin nicht der Meinung, dass es zu spät ist, die Kommunikation anzupassen. Die USA haben gezeigt, dass man selbst mit Teilen des gleichen Personals (Dr. Fauci) die Informations- und Kommunikationspolitik der Regierung um ziemlich genau 180 Grad drehen kann und positive Effekte verspürt. Auch die CDC-Vorgaben verhalten sich dementsprechend: Man nimmt das Virus dort  ernster und erklärt gleichzeitig, wie sich die Impfstoffe auf die zukünftigen privaten Treffen auswirken können. Alles wohlgemerkt mit einer positiven Perspektive.

Auch in unserer deutschen Situation geht es mir darum, eine Perspektive aufzuzeigen.

Die Kommunikation sollte aber nicht dabei anfangen, ohne Vorerklärung direkt zur fata morgana einer vorgegaukelten Perspektive zu gehen. Genau diese Art von vorschnellem Hausbau ohne Fundament hat in den Bürgern falsche und/oder unrealistische Erwartungen geweckt.

Die Reihenfolge der Kommunikation müsste sein
  • zunächst die Grundlagen der Viruseigenschaften für "den Laien" plastisch, deutlich, griffig zu kommunizieren
  • die Unterschiede zwischen Tröpfchen-, Aerosol-, Schmierinfektion plastisch, deutlich, griffig zu kommunizieren
  • die Details des Verhaltens von Aerosolen plastisch, deutlich, griffig zu kommunizieren
  • im Zusammenhang zwischen Virus und Risikoquellen für die Bürger lebensnahe Situationen mit einer Risikobewertung zu versehen und den Bürgern den Transfer in die eigene Lebenswirklichkeit zu vereinfachen
  • Vor diesem Hintergrund die Maßnahmen der Politik einzuordnen und plausibel zu machen

Ich habe vor, in den nächsten Tagen einen einfachen Entwurf einer "Risikobewertung für jedermann" zu posten, der auch die Grundlagen der Viruseigenschaften enthalten wird.

Ich möchte heute aber noch einmal explizit etwas klarstellen, was in meinem gestrigen Rant vielleicht etwas zu wenig rauskam:

Es geht mir nicht darum, eine generelle Laissez-faire-Haltung für den freien Himmel in die Wege zu leiten und zu sagen, dass alle Einschränkungen in der jetzigen Situation für die Katz sind. Wir bewegen uns momentan auf eine dritte Welle zu, und ich will nicht als derjenige gelten, der kopflose Lockerungen fordert.

Nein. Mir geht es darum, die Bürger nicht wie unmündige Karikaturen zu behandeln, denen man oft genug AHA sagt und dann passt es schon.

Nein. Die Akzeptanz von sinnvollen Vorgaben und Verordnungen kann doch nur erfolgen, wenn die Bürger das Gefühl haben, dass die Bestimmungen zu ihrer Wahrnehmung der Risikobewertung in der eigenen Lebenssituation passen.

Wir haben es aber zu tun mit
  • schwer verständlichen und unsauber erklärten Zusammenhängen
  • nicht plausiblen Vorgaben
  • teils willkürlich wechselnden (Öffnungs/Schließungs/Notbrems)-Kriterien
  • fehlenden Verhaltensleitlinien (mit denen man sich idealerweise identifizieren könnte; und nein, AHA ist keine Leitlinie; es ist der kürzest mögliche Slogan, der viel zu wenig erklärt. Man hat ihn offensichtlich gewählt, weil man dem Bürger nicht viel mehr zutraut, als sich drei Buchstaben zu merken. Zusammenhänge?, ahhh, lasst das doch für Jens und Konsorten. Die wissen, wie Dinge zusammenhängen, bei Seilschaften muss man das ja wissen.)
  • ...

Resultat: Wir vernichten gerade massiv und in der Breite Akzeptanz und Vertrauen.

Mein Adressat sind übrigens auch nicht die Querpfosten, die wir mit besserer Kommunikation erreichen könnten. Das können wir nämlich wahrscheinlich nicht, aber wenn doch, um so besser. Dann willkommen zurück in der Realität.

Mir geht es um:

  • die Büroarbeiter, die sich schützen wollen, die aber nicht genug informiert wurden über die Risiken von zu wenig Belüftung in der Kaffeeküche und die sich dann wundern, warum sie doch krank werden
  • den Fahrgast des Taxis, in dem doch alle Hygienemaßnahmen befolgt wurden, inklusive einer vollständigen Trennung des Innenraums per Folie, aber der Fahrgast wollte Fenster zu und die Klimaanlage stand auf Umluft
  • Mitarbeiter in einer Klinik, die an der Anmeldung fest davon ausgehen, dass das Plexiglas doch allen Vorgaben entspricht und die sich deswegen nichts dabei denken, wenn die Maske (hier natürlich nicht FFP2, denn dazu motiviert wird man ja auch nur über Vorgabe) auch mal unter der Nase hängt, ganz kurz eh nur
  • Die Leute, die dann doch zu Ostern Familie besuchen müssen und dies nicht an der frischen Luft beim Grillen tun, weil da könnte man ja gesehen werden, sondern eben doch in der Bude

All diese Menschen brauchen:

  • das Gefühl, dass man sie ernst nimmt
  • gut recherchierte, schön vor- und aufbereitete Informationen zur besseren Risikoabschätzung
    • Dem Büroarbeiter sind vielleicht dann doch die Aerosole nicht so klar, es hustet ja keiner und Triefnasen hat auch niemand in der Nähe; und ist man nicht eh nur mit Fieber ansteckend??
    • Dem Taxifahrer ist vielleicht auch nicht klar gewesen, dass bei Umluft die Innenluft des Fahrzeuges immer wieder umgewälzt wird und sich Aerosole anreichern werden.
    • In der Klinik hat man immer wieder darauf gepocht, dass sich alle den Zettel zu den Maßnahmen durchlesen. Da steht vor allem Abstand und Plexiglas, und schön die Stifte desinfizieren, dann wird es schon passen, ge. Ach und Fenster zu, es zieht.
    • Ganz auf den Besuch werden wir nicht verzichten, aber wenn man erwischt wird beim Grillen, selbst wenn es dann "erlaubt" ist, wir wissen doch, wie die Leute dargestellt werden, die draußen sind: Verantwortungslose Unmenschen. Und ist das Risiko drinnen denn nicht ähnlich?
  • die Informationen auch hin und wieder in der Tagesschau, heute, RTL Aktuell als weiterhin Stand der Wissenschaft gekennzeichnet
  • dass bei aller Wiederholung gleicher Information darauf geachtet wird, dass es nicht alles "von oben herab" kommt. 
  • dass immer, wenn Maßnahmen wirksam waren herausgestellt wird, dass wir es ja alle zusammen hinkriegen, nicht die Politik mit ihrer Weisheit, nein, alle mit ihrer klugen Risikoabschätzung
  • plausible Vorgaben
    • Reihenfolge von Öffnungen sollte einer Risikobewertung folgen, nicht Überlegungen rein wirtschaftlicher Natur
    • Eine Transparenz sollte geschaffen werden bei gleichzeitigem Appell, sich passend zum Risiko zu verhalten: Der Bürger muss sich mündig und informiert fühlen können!
  • Politiker, die nicht Souveränität vorgaukeln (Spahn's Satz vom "Logistikweltmeister Deutschland" dreht mir noch immer den Magen um), sondern mit klarer sinnvoller Leitlinie führen

Ich denke ich werde den nächsten Post dann auf Englisch formulieren, da ich die DE-spezifischen Aspekte jetzt glaube ich drin habe. Demnächst also Hints for Risk Assessment in Times of Corona.

PS: Impfen und so. Ihr wisst schon.